EU-Flash Nr. 252 vom 11. Mai 2023

Europarat: Städte und Regionen sind der Schlüssel zur demokratischen Erneuerung Europas

Am 16. und 17. Mai treffen sich die Staats- und Regierungschefs des Europarates in Reykjavik.
Bei dem Gipfel der 46 Länder umfassenden Menschenrechtsorganisation Europas, wird die Stimme der Städte und Regionen eine wesentliche Rolle bei der Förderung der Demokratie in Europa spielen.

Gastbeitrag von Leendert Verbeek (Niederlande),

Präsident des Kongresses der Gemeinden und Regionen des Europarates


Wenn sich die Staats- und Regierungschefs des Europarates, die 46 Länder umfassende führende Menschenrechtsorganisation Europas, am 16. und 17. Mai 2023 in Reykjavik zu ihrem vierten Gipfel treffen, wird die Stimme der Städte und Regionen eine wesentliche Rolle bei der Förderung der Demokratie in Europa spielen. 

Im Vorfeld des Gipfels werden sieben Verbände und Institutionen europäischer regionaler und lokaler Gebietskörperschaften, darunter der Europäische Ausschuss der Regionen und der Kongress des Europarates, einen Aktionsaufruf an die nationalen Regierungen richten. Hierbei handelt es sich um den ersten gemeinsamen Aufruf dieser Art. Dieser Aufruf zielt darauf ab die Rolle der lokalen Demokratie zu stärken. Hierbei soll die wichtige Botschaft bekräftigt werden, dass eine größere Einheit sowohl auf zwischenstaatlicher als auch auf nationaler Ebene mit der Ebene der Städte, Gemeinden und Regionen beginnt. 

Der Europarat hat dieses Gipfeltreffen einberufen, weil mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine - und dem damit verbundenen Ausschluss Russlands aus dem Europarat - der Krieg nach Europa zurückgekehrt ist. Die schrecklichen humanitären, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen des Krieges treffen auf die vielen bestehenden Herausforderungen in Europa, insbesondere der wachsenden Bedrohung durch den Klimawandel.

Es ist nicht zuletzt dem Europarat zu verdanken, dass unser Kontinent sich zum weltweit am stärksten dezentralisierten politischen Raum entwickelt hat, weil man in Europa schon früh erkannt hat, dass eine ausgewogene Verteilung der Macht von oben nach unten - auf Regionen, Kreise und Gemeinden - die Übermacht einzelner Regierungsebenen verhindert und eine bürgernahe Demokratie ermöglicht. 

Die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung ist ein bedeutender rechtsverbindlicher Vertrag, der 1985 vom Europarat angenommen und von allen 46 Mitgliedstaaten ratifiziert wurde. Die Charta legt die Grundsätze der lokalen Demokratie und die Rechte der lokalen Gebietskörperschaften fest. Dieser Vertrag stellt heute sowohl für die nationalen als auch die europäischen politischen Entscheidungsträger einen erheblichen Fortschritt dar.

Heute sind die selbstverwalteten Städte und Regionen Europas ein integraler Bestandteil des Systems der Gewaltenteilung. Dieses muss als Ergebnis des Gipfels weiter gestärkt werden, um den schleichenden Verfall der Demokratie zu stoppen und umzukehren. Beispielsweise stellt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in vielen seiner für Mitgliedstaaten verpflichtenden Entscheidungen fest, dass bestimmte Menschenrechtsverletzungen auf Entscheidungen lokaler und regionaler Regierungen zurückzuführen sind.

Die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften sind auch wichtige Akteure, wenn es darum geht, wirksame Antworten auf die die derzeitigen gesellschaftlichen Herausforderungen zu finden. Sie übernehmen Verantwortung für die Integration von Migranten und anderen Minderheiten und setzen sich für eine vielfältige Gesellschaft; für Frauenrechte und für die Gleichstellung der Geschlechter ein. Sie engagieren sich für Jugendliche, leiten lokale Umweltschutzinitiativen und engagieren sich für die Energiewende und den Klimaschutz. Sie sind wichtige Akteure bei der Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen zum Umgang mit Digitalisierung und künstlicher Intelligenz.  

Gute Politik ist bekanntermaßen eine lokale Angelegenheit. Dies gilt nicht nur im Wahlkampf, sondern zunehmend auch für die erfolgreiche praktische Umsetzung von Maßnahmen auf lokaler und regionaler Ebene.

Wenn etwas auf lokaler Ebene nicht funktioniert, wird es auch auf nationaler oder internationaler Ebene nicht funktionieren. Zwei Drittel der 169 Unterziele, die für die 17 Ziele der Agenda 2030 der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung festgelegt wurden, können nur auf lokaler und regionaler Ebene erreicht werden. Die lokalen Gebietskörperschaften leisten einen grundliegenden Beitrag für weltweite Maßnahmen zum Umweltschutz, zum Schutz der biologischen Vielfalt und zur Umsetzung der Energiewende und dem Wandel hin zu einer grünen Ökonomie - ein weiteres zentrales Thema, das in Reykjavik erörtert werden soll. Ein Beispiel ist die spanische Provinz Girona, die aus ihren 221 Gemeinden eine "Energiegemeinschaft" gebildet hat. Mit Hilfe von acht Büros für die Energiewende fördert die Provinz durch Subventionen und andere Anreize die Umstellung auf umweltfreundliche Energiequellen. In den letzten vier Jahren hat ihr Aktionsplan für nachhaltige Energie und Klimaschutz Investitionen in Höhe von mehr als 16 Millionen Euro angezogen.

Dies ist nur ein Beispiel aus rund 130 000 Gebietskörperschaften in Europa, die im Europarat durch den Kongress der Gemeinden und Regionen, eines der beiden politischen Versammlungen des Europarats bestehend aus gewählten Politikern, vertreten werden. Der Kongress verleiht den Städten und Regionen nicht nur eine Stimme und eine Möglichkeit zum Erfahrungsaustausch, sondern überwacht auch die Umsetzung der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung, um die Dezentralisierung voranzutreiben und die territoriale Demokratie zu stärken. Dieses Monitoring ist ein wichtiger Teil eines "Frühwarnsystems", um auf mögliche "demokratische Rückschritte" in den Mitgliedsstaaten zu reagieren. Dies ist ebenfalls eines der erwarteten Ergebnisse des Gipfels. Eine Stärkung der Monitoring-Aktivitäten des Kongresses würde hierzu beitragen.

Die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften werden auf dem bevorstehenden Gipfel in Reykjavik Gehör finden, und ihre Rolle bei der lokalen Verwurzelung von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit wird anerkannt. Die europäischen Staats- und Regierungschefs können sich darauf verlassen, dass die gewählten Vertreter der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften ihren Teil dazu beitragen werden, die wichtigen Beschlüsse des Gipfels von Reykjavik umzusetzen, um die europäische Demokratie zum Wohle der Bürger stabiler und widerstandsfähiger zu gestalten.