Musikpreis Salzburg 2006 – Förderungspreisträger



Francesco Filidei; Bildrechte Landespressebüro


Francesco Filideis Musik, der das Tönende abhanden gekommen ist


Auf Vorschlag von Salvatore Sciarrino wurde der Förderungspreis an den 32jährigen italienischen Musiker und Komponisten Francesco Filidei vergeben. Sciarrinos Begründung für seine Wahl lautet folgendermaßen:


"Versuchen Sie sich eine Musik vorzustellen, der das Tönende abhanden gekommen ist: Als Rest bleibt Gemurmel, ein Skelett, leicht, aber reich an quasi mechanischen Geräuschen, die durch das Berühren und Entlangstreifen der Hände über die Instrumente entstehen. Das ist die Musik von Francesco Filidei. Sein sehr persönlicher Stil geht keine Kompromisse ein und hat sich über die Jahre nicht vereinfacht, sondern ist strenger geworden. Trotz des scheinbar begrenzten Bereiches der von ihm verwendeten Art der Geräusche haben seine Werke Atem und Ruhe bekommen, sie entwickeln sich und finden formal ganz eigene Lösungen, die vorher unvorstellbar waren. Es geht nicht um intellektuelle Lösungen, sondern um das Erschließen einer kostbaren, poetischen Welt.


In Bezug auf Filidei ist es schwierig, ästhetische Vorbilder und seine Orientierungspunkte in der aktuellen Musiklandschaft zu benennen. Der "musique concrète"-Klang, die Geräuschhaftigkeit könnten auf Lachenmann verweisen oder auf spezielle Werke von Kagel, aber die phantastische und erstaunliche Absurdität der Stimmung dieser Musik lässt im Kopf einzelne Figuren in der Art von Harry Partch entstehen.


In dieser Musik werden Rhythmus, Puls und abrupte Brüche zur primären Struktur, um das Wiedererkennen in den Veränderungen und die unglaublich effiziente Nicht-Kontinuität in der Form zu gewährleisten. Mit der ungewohnten Art der Klangphänomene erweitert seine Musik die Grenzen unseres Perzeptionsvermögens. Darüber hinaus hat Filidei seine graphische Notation funktional im Hinblick auf Möglichkeiten musikalischer Artikulation und musikalischer Beziehungen verfeinert.


Mir scheint Folgendes noch wichtig zu sein: Die Beständigkeit und Konsequenz des Komponisten auf einem einsamen und schwierigen Weg, die enorme Fülle seiner musikalische Produktion (obwohl  erst 32 Jahre alt!) und besonders die heute so seltene Originalität seines Werkes. Hervorzuheben ist auch die Bereicherung des Orgelrepertoires durch Filidei (die Orgel ist sein Instrument): Er stellt sich selbst mit seiner Virtuosität als Interpret anderen mehr oder weniger jungen Komponisten zur Verfügung und fordert sie auf, sich kreativ mit diesem Instrument auseinanderzusetzen."


Biografie Francesco Filidei:


Geboren 1973 in Pisa, beendete Francesco Filidei seine Musikstudien am Konservatorium Luigi Cherubini in Florenz mit Diplomen in Orgel und Komposition. Als Assistent an der Ecole normale supérieure und Organist am Dom von Pisa (1993 – 1995) belegte er Perfektionskurse bei Salvatore Sciarrino, Sylvano Bussotti und Giacomo Manzoni. Er gab Konzerte mit Werken von Franz Liszt, César Franck sowie eigenen Werken und viel zeitgenössischer Musik für Orgel und Klavier in Italien und außerhalb, 1998 bekam er das Taddei- und 2004 das Meyer-Stipendium. 1999 wurde er am Conservatoire National et Supérieur de  Paris als Erstgereihter aufgenommen, um mit Frédéric Durieux und Michael Levinas (Analyse) zu studieren. Im Jahr 2000 absolvierte er den Kurs für Komposition und Informatik am IRCAM und 2004 den Kompositionskurs „voix nouvelles“ in Royaumont. 2003 war er Finalist des internationalen Orgelwettbewerbs von Saint Albans, 2004 erhielt er einen Ehrenpreis am internationalen Wettbewerb in Straßburg und den 2. Preis beim Wettbewerb in Viterbo.


Seine Werke werden herausgegeben vom Verlag Ars Publica und von diversen Ensembles wie Itinéraire, Alter ego, Cairn, Instant donné, Atelier XX, Nouvel ensemble modern, Ensemble  orchestral contemporain, Rhizome, Intercontemporain, Percussion de Strasbourg aufgeführt. Aufgenommen wurden seine Werke von Radio France und Rai Tre.


Seit 2003 ist er Organist der Chapelle de la Médaille Miraculeuse in Paris und Assistent von Jean Guillou an der Orgel Van den Heuvel in der Kirche Saint Eustache in Paris. 2006 wird er als composer in residence an der Akademie des Schlosses Solitude in Stuttgart sein.