Musikpreis Salzburg 2011 - Preisträger



Würdigungspreis für Friedrich Cerha


Friedrich Cerha Bildrechte Landespressebüro   Landeshauptmann-Stellvertreter Mag. David Brenner mit Musikpreis-Preisträger Friedrich Cerha Bildrechte: Landespressebüro


Juryentscheidung für den Musikpreisträger 2011


Die Jury fasste ihren Beschluss einstimmig und begründete ihre Entscheidung folgendermaßen:


"György Ligeti hat sich einmal in ironischer Abgrenzung vom amerikanischen Minimalismus als 'Maximalist' bezeichnet. Diese Charakterisierung darf auch Friedrich Cerha für sich in Anspruch nehmen, der nicht zufällig mit Ligeti befreundet war und von ihm sehr geschätzt wurde. Auf unspektakuläre, dabei gleichzeitig radikale Weise verkörpert er eine für die Kunst der Moderne exemplarische Multiperspektivität. Kompositionstechnisch vereint sein Werk  avantgardistische Techniken der Nachkriegszeit mit älteren Verfahren und Materialien, die dabei ganz neu behandelt werden.


Parallel zu Ligeti, Xenakis und Lutoslawski entwickelte er Ende der 50er Jahre eine eigene Weise der Komposition mit Klangflächen und Texturen, etwa in dem exorbitant schwierigen Spiegel-Zyklus für Orchester von 1960/61. Spätere Stücke, darunter vor allem die Opern 'Baal', 'Die Rattenfänger' und 'Der Riese von Steinfeld' kennen tonale und kantable Elemente, die immer wieder zum Vergleich mit Alban Berg gereizt haben, wobei manchmal allerdings Cerhas Vollendung der 'Lulu' zu einer Verschlagwortung seiner Musik gereizt hat, die ihrem Individualismus in keiner Weise gerecht wird.


Cerha ging es niemals um die bloße eklektizistische Buntheit oder gar um ästhetische Zugeständnisse, sondern im Gegenteil um die Bewältigung jener Quadratur des Zirkels, die zu einem Grundproblem der neuen Musik gehört: mit den Artikulationsmöglichkeiten kompositorisch differenzierter Musik den Hörer möglichst unverstellt zu adressieren, also Konstruktion und Ausdruck oder auch organischem Gestaltwachstum zu vereinen. In dieser Überbrückung der Pole von Neu und Alt oder Älter sowie von Differenziertheit und Expression kommt auch ein spezifisch Wienerisches Ineinander von Traditionsverspflichtung und Innovation zum Tragen. Nicht zufällig wurde Cerha wesentlich geprägt durch Exponenten der Wiener Schule wie etwa Polnauer, Kolisch oder Steuermann, so dass man ihn als den bedeutendsten gegenwärtigen Vertreter eines spezifischen Wiener Komponierens ansehen muss. Dazu gehört auch die Verbindung souveräner Handwerklichkeit im Dienste autonomer musikalischer Form mit einem Interesse an der Ausdrucksvielfalt der Oper, das bis zur italienischen Barockmusik zurückreicht.


Als Wienerisch ist vielleicht auch sein exzellenter literarischer Geschmack anzusehen, der zu fruchtbaren Kontakten mit der Wiener Dichterszene geführt hat, sich bisweilen in dem ortsüblichen abgründigem Hintersinn äußert. Man denke etwa an die zwei 'Keintaten' aus den frühen achtziger Jahren, die gleichzeitig Anspielungen auf die Gattung der Kantate, das Wortspiel mit dem Namen des Textdichters Ernst Klein und dem jiddischen Wort für Vater: Tate, realisiert. Der Stücktitel heißt also auch: vaterlos. Nicht nur in diesem Werk Cerhas steht die Kunst auch als autonome Form des Widerstandes gegen die Tendenzen zur Vernichtung des Individuums, die seit dem 20. Jahrhundert auf die verschiedensten Weisen wirksam sind.


Man würde Cerhas Vielschichtigkeit nicht gerecht, wenn man nicht auch seine Tätigkeit als Dirigent und Organisator honorieren würde. Unter anderem gründeten er und Kurt Schwertsik das Ensemble `die reihe`, dessen Konzerte immer wieder zu Skandalen in Wien führten, dazu kam die gleichnamige Schriftenreihe, die sich in den Dienst der serialistischen und elektronischen Avantgarde stellte. 1978 gründete Cerha den Zyklus 'Wege in unserer Zeit', der sehr erfolgreich der neuen Musik gewidmet war. Mit Cerha wird nicht nur ein exemplarischer Komponist geehrt, sondern eine überragende geistige Institution."


Biographie Friedrich Cerha


Friedrich Cerha wurde 1926 in Wien geboren, wo er an der Musikakademie (Violine, Komposition, Musikerziehung) und an der Universität (Musikwissenschaft, Germanistik, Philosophie) studierte. 1956 bis 1958 nahm er an den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik teil. 1958 gründete er zur Schaffung eines permanenten Forums für Neue Musik in Wien das Ensemble "die reihe", das in der Folge Pionierarbeit in der Präsentation von Werken der Avantgarde, der Wiener Schule und der gesamten klassischen Moderne leistete.


Von 1959 an lehrte Cerha an der Hochschule für Musik in Wien, wo er 1976 bis 1988 eine Professur für "Komposition, Notation und Interpretation neuer Musik" innehatte. Von 1960 bis 1997 war er als Dirigent bei international führenden Institutionen zur Pflege Neuer Musik, Orchestern (u.a. Berliner Philharmoniker, Cleveland, Concertgebouw) und Opernhäusern (Berlin, München, Buenos Aires) tätig.


1978 gründete er mit Hans Landesmann im Wiener Konzerthaus den Zyklus "Wege in unsere Zeit", den er bis 1983 leitete. Ab 1994 verband ihn auch eine intensive Interpretationsarbeit mit dem Klangforum Wien, dessen Präsident er bis 1999 war.


Cerha erhielt zahlreiche Preise und Ehrungen, u.a. 2006 das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst, den Orden "Officier des Arts et Lettres" und den "Goldenen Löwen" der Biennale Venedig für sein Lebenswerk.


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