Musikpreis Salzburg 2009 – Preisträger



Klaus Huber – eine der herausragendsten Komponistenpersönlichkeiten unserer Zeit – ist der Preisträger des "Musikpreis Salzburg 2009"


Klaus Huber; Bildrechte Landespressebüro


Die Vergabe des Preises an Klaus Huber geht auf einen Vorschlag der mit Harry Vogt (Redakteur für Neue Musik beim Westdeutschen Rundfunk; künstlerischer Leiter der Wittener Tage für Neue Kammermusik und der Konzertreihe Musik der Zeit), Sylvain Cambreling (einer der erfahrensten Dirigenten im Bereich Neue Musik, Chefdirigent des SWR Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg, unter anderem Dirigent bei den Salzburger Festspielen, in der Pariser Oper, in der Metropolitan Opera, der Mailänder Scala, der Wiener Staatsoper) und Salvatore Sciarrino (Musikpreisträger 2006) besetzten Jury zurück.


Jury-Entscheidung für den Musikpreisträger 2009:


Die Jury fasste ihren Beschluss einstimmig und begründete ihre Entscheidung folgendermaßen:


"Der Komponist Klaus Huber, 1924 in Bern geboren, gilt seit den frühen 70er Jahren als Ausdrucks- und Bekenntnismusiker, als Übermittler existentieller Botschaften. Seine hoch differenzierte Musik kündet von der Möglichkeit und vom Glauben an eine bessere Welt. Unangepasst und mit hohem künstlerischen Ethos formuliert Huber seine humanistischen Ideen. Sie finden ihren adäquaten Ausdruck in Werken wie Tenebrae (1967), einer "Passionsmusik ohne Text", die von Sonnenfinsternis und der Verdüsterung des Lebens handelt, oder in der Kantate … inwendig voller Figur … (1971), das die atomare Bedrohung mit apokalyptischen Visionen kombiniert. "Um der Unterdrückten willen": Der Titel des erstens Teils aus dem groß dimensionierten Oratorium Erniedrigt-Geknechtet-Verlassen-Verachtet (1975-82) steht fast wie ein Motto über Hubers ungemein reichen, vielgestaltigen wie umfangreichen Œuvre, das alle Gattungen – vom Musiktheater bis zu kammermusikalischen Formen – umfasst.


Klaus Huber hatte sich anfangs, als Schüler von Willy Burkhard, intensiv mit polyphonem Denken beschäftigt, später dann durch das Studium Weberns und des späten Strawinsky serielle Verfahrensweisen für seine Musik fruchtbar gemacht. Seine Musik wird geprägt durch das starke Interesse an christlicher Mystik, Sufismus und Zen, zugleich setzt er sich mit den unterschiedlichsten Musik-Traditionen auseinander, mit abendländischen wie auch asiatischen, lateinamerikanischen und arabischen Kulturen. Um das Vergegenwärtigen von Vergangenem geht es Huber, wenn er wiederholt bei historisch ferner Musik anknüpft – bei Perotinus, Gesualdo, Bach oder Mozart (wie in dem Klavierkammerkonzert Intarsi oder in Ecce Homines für Streichquintett).


Wichtige Anregungen bezieht der Komponist vor allem aber aus der arabischen Musik, mit der er sich intensiv beschäftigt und die in vielen seiner Werke nachklingt. Etwa in den Lamentationes de Fine Vicesimi Saeculi für Orchester und Sufi-Sänger (1992-1993) oder in seinem Kammerkonzert Die Seele muss vom Reittier steigen (2002). Einen Brückenschlag zwischen Orient und Okzident versucht auch die Komposition Die Erde bewegt sich auf den Hörnern eines Ochsen (1992-1994) für Sufi-Sänger, europäische und arabische Musiker sowie Tonband. Den Impuls dazu hatte Huber im Kontext des ersten Golfkrieges 1991 und der damit im Westen kursierenden "Verteufelung der arabischen Kultur" erhalten: Hier verbinden sich poetisch-mystische Bilder und politische Aktualität in einer Klangwelt von faszinierender Farbigkeit.


Nur wenige haben sich so tiefgreifend wie Klaus Huber mit der Verfeinerung des Tonsystems befasst. Seit langem stellt er das temperierte Tonhöhenraster in Frage. Angeregt durch die arabische Musizierpraxis hat Huber eine hochdifferenzierte dritteltönige Harmonik entwickelt. Doch ist dies bei ihm stets gekoppelt an die Inhalte, an seine Botschaften und Bekenntnisse.


Davon künden auch die von Huber mit Vorliebe vertonten Autoren: Die Bergpredigt steht in seiner Musik neben dem Kommunistischen Manifest, Texte der südamerikanischen "Theologie der Befreiung" (Ernesto Cardenal) neben außereuropäischen Gegenwartsautoren (wie Mahmoud Darwish), Hildegard von Bingen neben Heinrich Böll (in Cantiones de circulo gyrante, 1985), mittelalterliche Mystiker neben Ossip Mandelstam. Auf Lyrik dieses russischen Dichters, der einst den auch für Huber so wichtigen Anspruch auf Welthaltigkeit von Kunst formulierte, basiert das Bühnenwerk Schwarzerde (1997-2001).


Musik ist für Klaus Huber Kommunikation. Davon zeugt auch seine langjährige Lehrtätigkeit. Als eine Art Anti-Babel, das junge Komponisten ins Gespräch bringen sollte, verstand er das 1969 von ihm gegründete Internationale Komponistenseminar in Boswil. Als einflussreicher Lehrer und Vermittler hat Huber Generationen junger Komponisten ausgebildet und auch dadurch Musikgeschichte (mit)geschrieben – vor allem in seiner Freiburger Kompositionsklasse (1973-1990) wie auch in Gastprofessuren, Kursen und Seminaren. Aus seinem Unterricht, der unter den gleichen ethischen Prämissen wie sein eigenes Komponieren steht, sind so unterschiedliche Persönlichkeiten hervorgegangen wie Brian Ferneyhough, Wolfgang Rihm, Younghi Pagh-Paan, Reinhard Febel, Michael Jarrell oder Toshio Hosokawa.


Mit dem Preis soll das Lebenswerk eines der herausragendsten Komponisten unserer Zeit gewürdigt werden, eines bis heute produktiven Künstlers, dessen innovative Musik nicht von seinem großen pädagogischen und gesellschaftspolitischen Engagement zu trennen ist."


Biografie Klaus Huber:


Klaus Huber, geboren am 30. November 1924 in Bern; 1947 bis 1956 Musikstudium am Konservatorium Zürich; Violine bei Stefi Geyer, Theorie und Komposition bei seinem Taufpaten Willy Burkhard in Zürich, 1955-56 Komposition bei Boris Blacher in Berlin; 1950 bis 1960 Violinlehrer am Konservatorium Zürich;


1955 Uraufführung von "Drei kleine Vokalisen" bei der Internationalen Gaudeamus-Musikwoche in Bilthoven, Niederlande. Von da an wachsende internationale Präsenz: 1958 beim Weltmusikfest der IGNM in Strasbourg unter Ernest Bour Uraufführung von "Oratio Mechtildis" (Kammersinfonie mit Altstimme), 1959 beim Weltmusikfest der IGNM in Rom Uraufführung der Kammerkantate "Des Engels Anredung an die Seele"; das Stück erhält auch den 1. Preis im Kompositionswettbewerb der IGNM-Sektion Italien (Jury-Mitglieder u.a. Luigi Dallapiccola und Wladimir Vogel). 1961 Uraufführung von "Noctes intelligibilis lucis" für Oboe und Cembalo mit Heinz Holliger und Edith Picht-Axenfeld bei den Darmstädter Ferienkursen. 1962 Teilaufführung des Oratoriums "Soliloquia" nach Augustin in London unter Hans Rosbaud, Gesamtaufführung 1964 in Zürich unter dem Schönberg-Schüler Erich Schmid.


1960 bis 1963 Dozent für Musikgeschichte und musikalische Literaturkunde am Konservatorium Luzern; 1961 bis 1972 Unterricht an der Musikakademie der Stadt Basel. Er leitet ab 1964 die Kompositions- und Instrumentationsklasse, ab 1968 die Meisterklasse für Komposition; 1965/69/87 Jurymitglied für die Weltmusiktage der IGNM; 1966/68/72 Leiter der Analysekurse und Seminare bei den Internationalen Kompositionswettbewerben der Stiftung Gaudeamus; 1968 Reise in die Sowjetunion zusammen mit Constantin Regamey; 1969 Huber gründet in Boswil (Schweiz) das Internationale Komponistenseminar, das er bis 1980 maßgeblich prägt.


1973 Stipendiat des DAAD in Berlin; im gleichen Jahr wird er als Professor für Komposition und Nachfolger von Wolfgang Fortner an die Musikhochschule in Freiburg/Br berufen. Er macht Brian Ferneyhough zu seinem Assistenten und baut das Institut für Neue Musik aus. Mit ihrer engen Verbindung von Theorie und Praxis stellen die von ihm entwickelten Ausbildungsmethoden ein bis heute gültiges Unterrichtsmodell dar. Zu seinen Schülern gehören unter vielen anderen Reinhard Febel, Toshio Hosokawa, Michael Jarrell, Younghi Pagh-Paan, André Richard, Wolfgang Rihm, Arturo Tamayo und Hans Wüthrich.


1979-82 Präsident des Schweizerischen Tonkünstlervereins; 1983 Erste Reise nach Nicaragua, Treffen mit Ernesto Cardenal; Vorträge in La Habana, Kuba; Uraufführung des politischen Oratoriums "Erniedrigt – Geknechtet – Verlassen – Verachtet..." (mit Texten u.a. von Ernesto Cardenal) in Donaueschingen; 1984 Beginn der internationalen Tätigkeit als Gastprofessor und Composer-in-Residence. Er unterrichtet in Lateinamerika, Japan und Kanada, in Europa u.a. in Siena, Paris (Conservatoire National und Ircam), Radziejowice/Polen, Skandinavien (Göteborg, Stockholm, Helsinki, Oslo), Mailand, Darmstadt, Basel, Huddersfield, London (Royal Academy of Music), Strasbourg (Festival Musica), Luzern (IMF) und Avignon (Centre Acanthes).


1985 Uraufführung von "Cantiones de circulo gyrante" nach Hildegard von Bingen und einem Text von Heinrich Böll zum "Jahr der romanischen Kirchen" in Köln. 1987 Pariser Uraufführung von "La terre des hommes" nach Texten von Simone Weil; im Abschnitt "La Porte" erprobt Huber erstmals das Komponieren mit Dritteltönen, das ab dem Streichtrio "Des Dichters Pflug" (1989) zu einem festen Bestandteil seiner Kompositionstechnik wird. Beginn der jahrelangen Beschäftigung mit Ossip Mandelstam. 1990 Beendigung der Lehrtätigkeit an der Staatlichen Hochschule für Musik in Freiburg.


1994 Uraufführung von "Die Erde bewegt sich auf den Hörnern eines Ochsen" für arabische und europäische Musiker und Tonband über einen Text des Iraners Mahmoud Doulatabadi; darin arbeitet Huber erstmals mit arabischen Modi (Maqamat). Gleichzeitig entsteht das Orchesterstück "Lamentationes de fine vicesimi saeculi" (mit einem Sufi-Sänger ad libitum), in dem er die Maqam-Technik auf das große Orchester überträgt. 1994 Uraufführung des Kammerkonzerts "Intarsi" mit dem Solisten András Schiff in Luzern; zusammen mit dem Streichquintett "Ecce homines" (1998) legt es Zeugnis ab von Hubers intensiver Beschäftigung mit der Musik Mozarts. 1998 Gründung der Konzertreihe "Musica insieme" in Panicale/Umbrien, Hubers zweitem Wohnsitz.


2001 Die Uraufführung von "Schwarzerde" am Theater Basel unter Arturo Tamayo bildet den Schlusspunkt von Hubers jahrelanger Beschäftigung mit Ossip Mandelstam. Er wendet sich nun vermehrt arabischen Kulturen zu; auf der Ebene der Kompositionstechnik strebt er nach einer Synthese der aus den Maqamat abgeleiteten mikrointervallischen Strukturen mit europäischen Traditionen, besonders mit der Vokalpolyphonie der Renaissance. Im Pariser Vokalensemble "Les Jeunes Solistes" (Leitung: Rachid Safir) findet er die idealen Interpreten für seinen hoch artifiziellen Vokalstil. Signifikante Werke dieser jüngsten Schaffensperiode sind die Kammerkantate "Die Seele muss vom Reittier steigen..." nach einem Text von Mahmoud Darwish für Countertenor (oder Alt), Violoncello, Baryton und kleines Orchester (Donaueschingen 2002) und "Miserere hominibus" für sieben Singstimmen und sieben Instrumente (2006 Luzern).


Wichtigste Auszeichnungen:
1959  1. Preis im Kompositionswettbewerb der IGNM-Sektion Italien,

1970  Beethovenpreis der Stadt Bonn für die Orchesterkomposition "Tenebrae",

1975  Komponistenpreis des Schweizerischen Tonkünstlervereins,

1978  Kunstpreis der Stadt Basel,

1985  Reinhold-Schneider-Preis der Stadt Freiburg/Br.,

1986  Premio Italia für "Cantiones de Circulo Gyrante",

2002  Kultur- und Friedenspreis der Villa Ichon, Bremen,

2007  Preis der Europäischen Kirchenmusik, Schwäbisch Gmünd.


Klaus Huber ist Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, der Akademie der Künste Berlin, der Freien Akademie der Künste Mannheim, Ehrenmitglied der IGNM, Ehrendoktor der Universität Strasbourg und Ehrenbürger der Gemeinde Panicale/Umbrien. Er lebt in Bremen und Panicale.


Sein Werkverzeichnis umfasst alle Gattungen vom Bühnenwerk und dem Oratorium bis zur Ensemble- und Kammermusik in vielfältigen vokal-instrumentalen Besetzungen. Die Autographe befinden sich in der Paul Sacher Stiftung, Basel. Seine Werke werden bei Bärenreiter, Schott und seit 1975 bei Ricordi (München) verlegt, seine gesammelten Schriften sind 1999 unter dem Titel "Umgepflügte Zeit" im Verlag MusikTexte, Köln, erschienen. (Weitere Informationen mit ausführlicher Biblio- und Diskographie unter www.klaushuber.com).