Vom Hof auf den Tisch und Biodiversität für 2030: Neue EU-Strategien sollen Landwirtschaft und Umweltschutz miteinander versöhnen

EU-Kommissionsvorschläge leiten breite öffentliche Debatte zu Artenschutz und Landwirtschaft ein

Am 20. Mai 2020 hat die Europäische Kommission mit den beiden neuen EU-Strategien „Vom Hof auf den Tisch“ (& Anhang) und der „EU-Biodiversitätsstrategie für 2030“ (& Annex) zwei verwandte neue Strategien für die Bereiche Landwirtschaft und Umwelt vorgelegt, die sich gegenseitig ergänzen sollen.
Die EU-Kommission ist bestrebt, die Interessen von Naturschutz, Landwirtschaft, Wirtschaft und Konsumentinnen und Konsumenten miteinander und im Einklang mit dem europäischen Grünen Deal (vgl. dazu Europa Spezial Nr. 29) zu versöhnen: Den Akteuren aus den unterschiedlichen Bereichen sollen so Wege aufgezeigt werden, wie gemeinsam auf eine wettbewerbsfähige und nachhaltige Zukunft hingearbeitet werden kann.
Die Abschlussarbeiten für die Erstellung der EU-Biodiversitätsstrategie für 2030 fielen zeitlich mit der COVID-19-Krise zusammen. Ursachen und Folgen der Corona-Pandemie werden in dem Strategiepapier der Europäischen Kommission daher ausdrücklich aufgegriffen, da die COVID-19-Pandemie deutlich macht, wie dringlich Umwelt- und Naturschutz für die Widerstandsfähigkeit von Gesellschaften sind. Dafür werden nach Einschätzung der Europäischen Kommission nicht nur gesunde Ökosysteme, sondern auch nachhaltige Lieferketten und Verbrauchsmuster benötigt, die mithilfe der EU-Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ angestrebt werden sollen.
Im Hinblick auf die Bedeutung der Biodiversität für die Erholung Europas von der COVID-19-Krise schenkt die Kommission in der Strategie auch deren Bedeutung für Industrie und Unternehmen Beachtung, denn das wirtschaftliche Interesse an der Biodiversität zeigt sich u.a. darin, dass Industrie und Unternehmen sich auf Gene, Arten und Ökosystemdienstleistungen als wesentliche Inputs für die Produktion, insbesondere von Arzneimitteln, stützen.
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Aus dem Zeitplan, der der EU-Biodiversitätsstrategie für 2030 beigefügt ist, ist ersichtlich, dass die EU-Kommission für den Zeitraum bis 2024 39 Maßnahmen ankündigt, die sich u.a. Fragen zur Artenvielfalt generell und zum Status von Schutzgebieten, der Verbesserung von Böden, Maßnahmen für den Schutz des Waldes und zugunsten von Habitaten für geschützte Arten sowie Ökologisierungsmaßnahmen in der Landwirtschaft widmen. Weiters kündigt die Kommission Vorschläge für ein Greening von Finanzinstrumenten und eine internationale Initiative zur „Bilanzierung von Naturkapital“ an. Bei den Bestrebungen zum Schutz der Artenvielfalt sieht die Kommission die EU in einer Vorreiterfunktion, entsprechende Maßnahmen sollen auch in internationalen Abkommen verankert werden. Damit die biologische Vielfalt bis 2030 auf den Weg der Erholung gebracht werden kann, ist nach Einschätzung der Kommission eine Verbesserung und Erweiterung des Netzes von Schutzgebieten und die Entwicklung eines ehrgeizigen EU-Plans zur Wiederherstellung der Natur notwendig. Da das derzeitige Netz gesetzlich geschützter Gebiete nach Einschätzung der Kommission nicht ausreicht, um die Biodiversität zu schützen, wird in der Strategie ein Ausbau angestrebt, mit dem mindestens 30 % der Landfläche und 30 % der Meere in der EU geschützt werden sollen. Das entspricht einem Plus von mindestens 4 % der Land- und 19 % der Meeresgebiete im Vergleich zum aktuellen Stand.
Der EU-Rechtsrahmen für die Wiederherstellung der Natur soll gestärkt werden. Hier konstatiert die Kommission derzeit teils erhebliche Umsetzungs- und Regulierungslücken. Um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten werden zwei Handlungsbereiche vorgeschlagen: ein Vorschlag für rechtsverbindliche EU-Ziele für die Wiederherstellung der Natur, um geschädigte Ökosysteme wiederherzustellen (2021) und eine Beschleunigung der Umsetzungsverfahren mit Unterstützung der Mitgliedstaaten, sodass sich die Erhaltungstrends und der Erhaltungszustand aller geschützten Lebensräume und Arten bis 2030 nicht (weiter) verschlechtern.

Artenschutz und Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft stärken

Auf landwirtschaftlich genutzten Flächen soll die Natur verstärkt wiederhergestellt werden können. Hier sollen die Biodiversitätsstrategie und die Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ im Zuge der neuen EU-Agrarpolitik (2021-2027) gemeinsame Akzente setzen, mit denen ein langfristiger Erhalt der Natur und die Nachhaltigkeit der Landwirtschaft dauerhaft gefördert werden sollen.
Die Kommission kündigt an, dass sie die GAP-Strategiepläne der Mitgliedstaaten für die EU-Förderperiode 2021-2027 anhand solider Klima- und Umweltkriterien bewerten wird und dass die Mitgliedstaaten nationale Werte für die in den Strategieplänen sowie in der Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ festgelegten einschlägigen Ziele vorgeben werden.
Die zum Schutz, zur Wiederherstellung und zur nachhaltigen Nutzung der Natur vorgesehenen Maßnahmen sollen den lokalen Gemeinschaften wirtschaftliche Vorteile bringen und nachhaltige Arbeitsplätze sowie nachhaltiges Wachstum schaffen. Aus verschiedenen Quellen (darunter EU-Gelder sowie nationale und private Gelder) sollen hierfür Mittel in Höhe von jährlich 20 Mrd. EUR für die biologische Vielfalt bereitgestellt werden.
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In dem Entwurf für einen Aktionsplan, der die Strategie „Vom Hof auf den Tisch“  begleitet, kündigt die Europäische Kommission für den Zeitraum 2024 27 Maßnahmen an, mit denen die Nachhaltigkeit in der Lebensmittelerzeugung und –Versorgung unter Berücksichtigung der Ernährungssicherheit verbessert werden soll. Erfasst werden u.a. Fragen zum Pflanzen- und Tierschutz, Futtermittelzusätze, Wettbewerbsfragen, Klimaeffizienz in der Landwirtschaft, Nährwertprofile und EU-Vermarktungsnormen (z.B. Lebensmittelbetrug), Konsumentenschutz (z.B. Angaben auf Verpackungen) und eine Prüfung des Rechtsrahmens für das EU-Schulprogramm (Obst und Milch) hin zu einer Schwerpunktverlagerung in Richtung „gesunder und nachhaltiger“ Lebensmittel.
In dem Strategiepapier formuliert die Kommission konkrete Ziele für die Umgestaltung des Lebensmittelsystems der EU, darunter eine Verringerung
  • des Einsatzes und des Risikos von Pestiziden (um 50 %),
  • des Einsatzes von Düngemitteln (um mind. 20 %) und
  • des Einsatzes von Antibiotika in der Lebensmittelproduktion (Nutztiere und Aquakultur)
    um 50 %.
Die ökologische Bewirtschaftung soll weiter ausgebaut werden und einen Anteil von 25 % der landwirtschaftlich genutzten Flächen in der EU erreichen. Eine bessere Kennzeichnung von Lebensmittelprodukten soll die Kaufentscheidung von Konsumentinnen und Konsumenten zugunsten gesunder und nachhaltiger Lebensmittel unterstützen.
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Für Landwirte, Fischer und Aquakulturerzeuger, die für den angestrebten Übergang hin zu einem gerechteren und nachhaltigeren Lebensmittelsystem eine Schlüsselposition einnehmen, sollen Mittel aus der Gemeinsamen Agrarpolitik und der Gemeinsamen Fischereipolitik in Form von neuen Finanzierungsquellen und Öko-Regelungen für die Einführung nachhaltiger Verfahren zur Verfügung gestellt werden.
Beide Strategien betrachtet die Kommission als Kernelemente des europäischen Grünen Deals und als wichtige Elemente die Erholung der Wirtschaft in Europa, denn vor dem Hintergrund der Corona-Krise nehmen der Aspekt der Nachhaltigkeit in Landwirtschaft, Fischerei und Aquakultur, der Schutz wildlebender Tier- und Pflanzenarten und die Bekämpfung des illegalen Handels mit seltenen Arten an Bedeutung zu.


Nächste Schritte

Die Kommission ersucht das Europäische Parlament und den Rat, diese beiden Strategien und ihre Verpflichtungen zu billigen. Alle Bürgerinnen und Bürger und alle Interessenträgerinnen und -träger sind dazu eingeladen, sich an einer breiten öffentlichen Debatte zu beteiligen.

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