Europäisches Semester wird neu ausgerichtet

Mit der EU-Wachstumsstrategie „Grüner Deal“ erhalten Nachhaltigkeit und Klima mehr Gewicht

Am 17. Dezember 2019 hat die EU-Kommission ihre Strategie für nachhaltiges Wachstum vorgelegt und damit den neuen Zyklus für das Europäische Semester 2020 eingeleitet. Mit dem Start der neuen Mandatsperiode der Europäischen Kommission (2019-2024) wird das Europäische Semester neu ausgerichtet, sodass die Prioritäten des Grünen Deals (vgl. Europa Spezial Nr. 29) in der kontinuierlichen makroökonomischen Zusammenarbeit von EU-Kommission und EU-Mitgliedstaaten, kurz „Europäisches Semester“, stärker als bisher berücksichtigt werden.

Zum ersten Mal integriert die Kommission auch die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung in das Europäische Semester. Es wird erwartet, dass sich das Europäische Semester, das derzeit an der Europa-2020-Strategie ausgerichtet ist (Laufzeit bis 31. Dezember 2020), von einem Berichtsmechanismus hin zu einem kontinuierlichen gemeinsamen Strategietool der EU entwickelt.

Hintergrund für die Richtungsentscheidung der Europäischen Kommission ist der grundlegende Wandel, in dem sich das globale Wirtschaftsmodell befindet. Nach Einschätzung der Kommission machen Klimawandel, Digitalisierung und demografische Veränderungen eine Anpassung der EU-Wirtschaftspolitik erforderlich, damit die EU und ihre Mitgliedstaaten auf der Weltbühne wichtige Akteure im Wettbewerb bleiben. Das EU-Wettbewerbsmodell soll sich dabei auch künftig durch Fairness und Nachhaltigkeit auszeichnen. Gleichzeitig müssen sich die EU-Länder stärker vor den globalen Risiken schützen, die sich abzeichnen. Das richtige Gleichgewicht zwischen Investitionen einerseits und Haushaltsdisziplin andererseits bietet dafür einen wichtigen Rahmen für die Wirtschaftspolitik in der EU.


EU-Binnenmarkt und Europäisches Semester gehen Hand in Hand

Der Binnenmarkt und das Europäische Semester ergänzen einander. Viele der strukturellen Barrieren, die verhindern, dass die Vorteile des Binnenmarktes in vollem Umfang genutzt werden können, sind nach Beobachtung der EU-Kommission auf Rechtsvorschriften oder Verwaltungspraktiken auf nationaler, regionaler oder kommunaler Ebene zurückzuführen, die die Rahmenbedingungen für Unternehmen verschlechtern und Unternehmen davon abhalten, grenzüberschreitend tätig zu werden. In einigen Mitgliedstaaten schmälert der Mangel an Verwaltungskapazitäten oder qualifiziertem Fachpersonal die Leistungsfähigkeit der Märkte für öffentliche Aufträge.
Dies kommt auch im Bericht über die Leistungsfähigkeit des Binnenmarktes zum Ausdruck, der heuer erstmals im Rahmen des Europäischen Semesters 2020 erstellt und von der Europäischen Kommission zusammen mit der „Jährlichen Strategie für nachhaltiges Wachstum“ vorgelegt wird.


EU unterstützt Strukturreformen in den Mitgliedstaaten

Ebenfalls am 17. Dezember 2019 hat die Europäische Kommission auch einen Bericht zum Programm zur Unterstützung von Strukturreformen 2018 vorgelegt: Diesem ist zu entnehmen, dass 2018 146 Anträge aus 24 Mitgliedstaaten für eine Finanzierung aus dem Programm ausgewählt wurden. Das Programm läuft bis 31. Dezember 2020 und soll in der nächsten EU-Förderperiode, die am 1. Jänner 2021 beginnt, fortgeführt werden.


Europäisches Semester hat sich seit 2011 bewährt

Seit 2011 hat sich das Europäische Semester als zentrales Instrument für die Koordinierung der nationalen Maßnahmen im Bereich der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik etabliert. Als solches kann es dazu beitragen, dass die Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele durch diese Maßnahmen gefördert wird, indem Fortschritte überwacht und eine engere Koordinierung der einzelstaatlichen Anstrengungen im Bereich der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik sichergestellt werden, wobei der Schwerpunkt weiterhin auf Themen mit gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen liegt. Der Ablauf des jährlich wiederkehrenden Europäischen Semesters im Überblick:
  • Im November/Dezember des Vorjahres legt die EU-Kommission das Herbstpaket vor; darin werden die Prioritäten für das Folgejahr formuliert;
  • im Jänner stellt die Kommission den Jahreswachstumsbericht vor, in dem die aktuelle wirtschaftliche Lage der gesamten EU sowie der einzelnen Mitgliedstaaten analysliert wird;
  • im März einigen sich die EU-Mitgliedstaaten auf höchster Ebene, d.h. im Zuge eines Gipfeltreffens im Europäischen Rat, auf die wichtigsten Maßnahmen für die kommenden 12 Monate;
  • bis April legen die Mitgliedstaaten dann Stabilitäts- bzw. Konvergenzprogramme zu ihren nationalen Haushalten vor, die als Grundlage für die länderspezifischen Empfehlungen dienen und die von den Mitgliedstaaten gemeinsam mit der Europäischen Kommission bis Juni für jeden einzelnen Mitgliedstaat erarbeitet werden. Die Ergebnisse werden zunächst im ECOFIN-Rat (Rat für Wirtschaft und Finanzen) beraten und abschließend im Europäischen Rat beschlossen;
  • im Mai/Juni folgen die länderspezifischen Empfehlungen, deren Umsetzung im Jahreswachstumsbericht des Folgejahres (Jänner/Februar) von der EU-Kommission evaluiert wird.

Reform des Europäischen Semesters rückt Klimawandel und Nachhaltigkeit künftig in den Vordergrund

Die Neuausrichtung des Europäischen Semesters äußert sich bereits in dem breiteren wirtschaftspolitischen Ansatz, der in der jährlichen Strategie für nachhaltiges Wachstum vorgestellt wird. Sie soll auch in den Länderberichten 2020, der Analyse der sozialen und wirtschaftlichen Lage der Mitgliedstaaten durch die Kommission, zum Ausdruck kommen. So kündigt die EU-Kommission an, dass die Berichte für 2020 eine eingehendere Analyse und ein verstärktes Monitoring der Nachhaltigkeitsziele umfassen sollen. Die in den Länderberichten enthaltene Analyse der wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen wird um einen neuen Abschnitt ergänzt, der speziell der ökologischen Nachhaltigkeit gewidmet ist. Dadurch sollen die Maßnahmen der Mitgliedstaaten unterstützt werden.

Die Reform der EU-Wachstumsstrategie legt zudem einen Schwerpunkt auf wettbewerbs-orientierte Nachhaltigkeit und soll so bei der Verwirklichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDG) helfen. Hintergrund dieser Zielsetzung ist die Einschätzung der EU-Kommission, dass die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Herausforderungen für Europa von gesamtwirtschaftlicher Relevanz sind. Darum sollen die SDG in allen Politikbereichen und auf allen Entscheidungsebenen (EU, Mitgliedstaaten, Regionen) berücksichtigt werden (Querschnittsansatz). Die EU-Kommission hebt auch das Gewicht, das den zuständigen Behörden und Ämtern dabei zukommen wird, die wirtschafts-, sozial- und fiskalpolitische Maßnahmen auf die Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele auszurichten, hervor.

Europäisches Semester subsidiaritätswahrend umsetzen

Angesichts der Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten, ihren Regionen und den EU-Organen (Subsidiarität) erweist sich der Beitrag der verschiedenen Regierungs- und Verwaltungsebenen innerhalb der EU zur Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele als komplex, nicht zuletzt, weil sich die Ausgangssituationen in den einzelnen Mitgliedstaaten stark unterscheiden. Darum soll für die politischen Maßnahmen ein differenzierter Ansatz gewählt werden, und zugleich sollen die politischen Maßnahmen in den Mitgliedstaaten eng miteinander koordiniert werden.

Konkret geprüft werden soll künftig, wie die Verwendung von EU-Mitteln für nachhaltige Investitionen notwendige Reformen vor Ort am besten unterstützen können.

Daher will die Europäische Kommission künftig jedem „Länderbericht“ einen neuen Anhang beifügen, in dem die Ergebnisse der einzelnen Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Nachhaltigkeitsziele dargelegt werden. Ein indikatorbasiertes Monitoring, für das EU-weite einheitliche SDG-Indikatoren von Eurostat bereitgestellt werden, wird dem Europäischen Semester als qualitatives Element hinzugefügt, mit dem die gesamtwirtschaftlichen Aspekte einzelner politischer Maßnahmen ohne zusätzlichen Verwaltungsaufwand erfasst werden können sollen.

Aufbauend auf den Länderberichten wird in den Vorschlägen der Kommission für die länderspezifischen Empfehlungen 2020, die heuer im Mai angenommen werden sollen, hervorgehoben, inwieweit nationale Reformen zu den Fortschritten bei bestimmten Nachhaltigkeitszielen beigetragen haben, sofern diese von entscheidender Bedeutung dafür waren, die Koordinierung der wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Maßnahmen zur Bewältigung gemeinsamer wirtschaftlicher Herausforderungen zu gewährleisten. Durch die Einführung dieses neuen Ansatzes im Rahmen des laufenden Zyklus des Europäischen Semesters sowie in den kommenden Jahren wird das Europäische Semester die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten bei der Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele durch wirtschafts- und beschäftigungspolitische Maßnahmen unmittelbar unterstützen und eine Wirtschaft im Dienste aller sowie ein nachhaltiges Wachstum sicherstellen.

Rolle des EU-Haushalts 2021-2027

Mit einer Investitionsoffensive für ein zukunftsfähiges Europa auf der Grundlage bestehender und neuer Mechanismen will die EU-Kommission die für die Verwirklichung des europäischen Green Deals erforderlichen Investitionen mobilisieren. Für Regionen, die vom klimabedingten Strukturwandel besonders betroffen sein werden, hat die EU-Kommission daher am 14. Jänner 2020 einen Mechanismus für einen gerechten Übergang (Just Transition Mechanism, JTM) vorgeschlagen.
Weiters erwartet die EU-Kommission, dass das neue KMU-Programm InvestEU (2021-2027) bis 2027 durch eine EU-Garantie besicherte, zusätzliche Investitionen in Höhe von über 650 Mrd. EUR ermöglichen dürfte. InvestEU soll helfen, für die Wirtschaft private Finanzmittel zur Förderung der Ziele der EU zu mobilisieren.
Dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und dem Europäischen Sozialfonds Plus (ESF+) misst die EU-Kommission für die nächste EU-Förderperiode (2021-2027) eine entscheidende Rolle bei, wenn es darum geht, den sozialen und territorialen Zusammenhalt in unseren Mitgliedstaaten, Regionen und ländlichen Gebieten zu fördern, um mit den Veränderungen auf dem Weg zu einer digitalen und ökologischeren Welt Schritt zu halten.
Das Reformhilfeprogramm soll die auf EU-Ebene zur Verfügung stehenden Instrumente ergänzen, damit durch die Bereitstellung sowohl technischer als auch finanzieller Unterstützung zur Umsetzung von Strukturreformen in allen Mitgliedstaaten beigetragen werden kann.
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