Salzburger Landessammlungen: Provenienzforschung und Restitution



Inhaltsverzeichnis: Geschichte der Landesgalerie


Die Ankäufe in Frankreich


Über die Ankäufe von Friedrich Welz in Paris kursierten schon während des Krieges, vor allem aber in den Jahren danach in Salzburg wüste Gerüchte. Ansichten des Inhalts, dass Welz „wagenweise in Frankreich Kunstwerke gestohlen habe“, wurden verbreitet und nach Klagsandrohung wieder zurückgezogen.[1] Bei Bedarf werden sie bis heute – mit Berufung auf „Zeugen“, die allerdings nicht mit Welz in Paris waren - immer wieder kolportiert.[2] Die Fakten sind – wie üblich – sehr viel nüchterner: Auf seinen fünf Parisfahrten kaufte Welz eine unbekannte Anzahl von Kunstobjekten und historisch wertvollen Einrichtungsgegenständen, von Stilmöbeln bis zu Bezugsstoffen. 1942 inventarisierte er von den Kunstgegenständen 312 Objekte, darunter 288 Bilder und 24 Plastiken, für die Landesgalerie. 308 Objekte kaufte er bei 42 namentlich bekannten Kunsthändlern, bei vier Objekten sind die Händler unbekannt. Die Frequenz seiner Einkäufe bei einzelnen Händlern gestaltete Welz unterschiedlich: Bei einem Händler erwarb er 108 Objekte, bei 26 nur zwei oder eines. Fest steht – und das interessiert hier ausschließlich –, dass Welz von jenen 312 Objekten, die er in Paris erwarb und später für die Landesgalerie inventarisierte, 308 nachweislich im Kunsthandel kaufte. Diese Erwerbungsart kann mit Sicherheit auch für die vier verbleibenden Bilder angenommen werden, zumal drei davon nur durchschnittliche Qualität aufweisen, während das vierte überhaupt eine deklarierte Kopie ist.[3] Sie eröffnen keinen Spielraum für Spekulationen über ihre Beschaffung, ebenso wenig wie jene 308 Objekte, deren Herkunft von namentlich bekannten Pariser Kunsthändlern feststeht. Im Unterschied zu den Geschäftspraktiken anderer Ankäufer kaufte Welz für die Landesgalerie ausschließlich mit Rechnung.[4] Im Inventarbuch sind diese Rechnungen mit Ausstellungsdatum und den Nummern der Belege, zu denen sie zusammengefasst waren, dokumentiert.[5] Im Zuge seiner Steuerprüfung wurden Details an diesen Rechnungen beanstandet, was einwandfrei ihr Vorhandensein bestätigt.[6] Nach 1945 gerieten sie mit der ganzen Geschäftskorrespondenz der Landesgalerie in Verlust. An ihrer früheren Existenz kann jedoch kein Zweifel bestehen, zumal in Paris eine nach den Rechnungsbelegen gegliederte Inventarliste der Landesgalerie, die von den Franzosen 1947 mitgenommen wurde, noch vorhanden ist.[7] In einem Fall hat sich zudem der Auftrag für eine Geldüberweisung direkt aus Salzburg an einen französischen Händler erhalten.[8] Das alles belegt ausreichend, dass Welz seine Erwerbungen in Paris, zumindest soweit er sie später zugunsten der Landesgalerie inventarisierte, in Form von Ankäufen aus dem Kunsthandel im engsten Wortsinn tätigte. Das bestätigen auch mehrere Zeugenaussagen aus dem Jahr 1951, darunter eine seiner Dolmetscherin Andrée Salamon und eine des Händlers Alexis Rudier, bei dem Welz 19 Objekte erworben hatte.[9] Alleine käme diesen Aussagen, die sich Welz für seine Ehrenbeleidigungsklagen beschaffte, wenig Gewicht zu, in Verbindung mit den Rechnungen ist an ihrer substantiellen Richtigkeit nicht zu zweifeln. Das wichtigste Argument in diesem Zusammenhang besteht aber jedenfalls darin, dass auch alle französischen Kulturbeamten – des Militärs wie der zivilen Verwaltung – die seit 1945 bis heute mit der Verschleppung französischer Kulturgüter und ihrer Restitution befasst sind, davon ausgehen, dass Welz die Objekte in Paris im Kaufweg erwarb: „Je pense comme vous que l’authenticité des opérations d’achats de Welz n’est pas à mettre en cause, elles apparaissent ainsi dans les documents que nous avons consultés.“[10] Dieser Einschätzung entspricht, dass gegen Welz in Frankreich oder seitens französischer Behörden niemals vor einem Gericht Anklage erhoben wurde. Wenn Frankreich nach 1945 trotzdem eine Rückstellung der gekauften Objekte durchsetzte, so beruhte diese Forderung auf einer völkerrechtlichen Grundlage, die privatrechtliche Vereinbarungen wie Kauf und Verkauf überlagerte.

„Herr Friedrich Welz ist jener Mann, der ... in den Jahren 1940 bis 1942 Reisen nach Paris unternahm und auf dem dortigen Kunstmarkte zu schändlich niederen Preisen Einkäufe machte.“[11] Auch dieses Gerücht – verbreitet gleichfalls von einem „Zeugen“, der nicht mit Welz in Paris war – beruht zumindest auf massiver Übertreibung. Die Aussage verschweigt als wesentlichen Teil der historischen Wahrheit die Bedingungen des Pariser Kunstmarktes während der deutschen Besetzung, die nicht auf Welz zurückzuführen waren, die er sich allerdings – als einer unter vielen – ausgiebig zunutze machte. 1940/41 quollen die Lager der Pariser Händler über. Das reichliche Angebot führte jedoch zu keinem Preisverfall, da ihm eine starke Nachfrage vor allem nach bestimmten Malern gegenüberstand und sich große Geldmengen im Umlauf befanden.[12] Käufer, die – wie Welz – nach Reichsmark rechneten, wurden durch den Währungskurs begünstigt. Vor dem Krieg standen Reichsmark und Francs im Verhältnis 1 : 6 zueinander, 1940 setzte die Reichsbank den Kurs mit 1 : 20 fest.[13] Dieses und zahlreiche anderen Kriterien sind bei einer Interpretation des folgenden Vergleiches zu berücksichtigen: Für Bilder von Stanislas Lépine nennt Bénézit für 1940/42 Preise zwischen 6 500.- und 39 000.- Francs, Welz erwarb vier Gemälde dieses Meisters mit Kosten zwischen 3 000.- und 10 000.- Francs; Werke von Jacques Antoine Vallin weist Bénézit mit Preisen zwischen 12 000.- und 25 000.- Francs aus, Welz erwarb vier mit Kosten zwischen 4 500.- und 20 000.- Francs; Gustave Courbet, der bei deutschen Käufern besonders begehrt war, erzielte nach Bénézit Preise von 130 000.- bis 200 000.- Francs (1943), Welz kaufte 13 Bilder von ihm und bezahlte pro Werk zwischen 18 000.- und 180 000.- Francs. Bei anderen Meistern, wie z. B. Renoir, dessen Bilder Preise bis zu eineinhalb Millionen erreichten, während Welz ein Zehntel davon auslegte, fehlt eine ausreichende Grundlage für einen wirklich tragfähigen Vergleich.[14] Bei den jeweils unteren Preisangaben der Welz-Käufe darf die Authentizität der Zuschreibungen durchaus in Zweifel gezogen werden. Ansonsten bewegten sich die von ihm aufgewendeten Summen zwar eher am unteren Rand, aber im Rahmen dessen, was üblich war. „Normalerweise lief das Geschäft, ohne dass von deutscher Seite Druck ausgeübt wurde, nur eben oft heimlich hinter verschlossenen Türen.“[15] Solche Praktiken wird man auch bei Welz‘ Auftreten in Paris 1940/41 voraussetzen dürfen.[16]

Gänzlich verfehlt ist das Gerücht von den „schändlich niederen Preisen“, wenn man ihm die Relation zwischen An- und Verkauf zugrunde legt. Richtig ist – wie sich anhand von 73 Beispielen zeigen lässt –, dass Welz einzelne seiner Paris-Erwerbungen aus den Jahren 1940/41, die er aus der Landesgalerie im Rahmen seiner Befugnisse abverkaufte, 1943/44 um das Sechsfache der Erwerbungskosten veräußern konnte.[17] Das scheint nur auf den ersten Blick sensationell. Noch mehr als in Paris 1940/41 befand sich in Deutschland 1943/44 ausreichend Geld im Umlauf. Woran es mangelte, waren Gelegenheiten es auszugeben. Die letzte Inflation lag kaum 20 Jahre zurück, der Kriegsverlauf legte den Gedanken an eine bevorstehende neuerliche Geldentwertung nahe. Investitionen in Kunstobjekte boten die Möglichkeit einer ebenso wertbeständigen wie diskreten Geldanlage. Dementsprechend schnellten – wie anderswo auch in Salzburg – die Preise für Bilder einheimischer Künstler am selben Ort von 1942 auf 1943 um das Fünffache nach oben.[18] Ein Verkaufspreis in der Höhe des sechsfachen Einkaufspreises, den Welz für seine Frankreichimporte erzielen konnte, passt in diesen Rahmen, ragt aber keineswegs darüber hinaus.

Wenn man alle 312 Kunstobjekte betrachtet, so gilt für die Qualität von Welz‘ Ankäufen in Paris, dass sie bestenfalls gehobenen, keineswegs aber höchsten Ansprüchen genügen konnten. Große Meister sind selten, und wenn, keinesfalls mit repräsentativen Werken vertreten.[19] Bei Werken bedeutender Künstler gilt ihre Urheberschaft in vielen Fällen als unsicher. Zumindest für 100 Objekte und damit für rund ein Drittel wurden diese unsicheren Zuschreibungen auch offiziell deklariert.[20] Die Grauzone geht jedenfalls deutlich darüber hinaus und dürfte sich wenigstens auf die Hälfte aller Erwerbungen erstrecken. Dieser Einschätzung entspricht der Vergleich mit anderen Ankäufern: Zur gleichen Zeit wie Welz erwarben fünf deutsche Museen in Paris 204 Kunstobjekte um zusammen rund 1 550 000.- Reichsmark, was zu einem Durchschnittspreis pro Objekt von rund 7 600.- Reichsmark führt.[21] Von den 312 Welz-Erwerbungen lässt sich für 308 ein Ankaufswert von rund 566 000.- Reichsmark errechnen, woraus sich ein durchschnittlicher Stückpreis von lediglich 1 800.- Reichsmark ergibt.[22] Durchschnittspreise sagen bei Kunstwerken naturgemäß wenig aus. Hinter ihnen kann sich trotzdem das eine oder andere Meisterwerk verbergen. Bei Stückzahlen von 200 bis 300 Objekten verdeutlichen sie aber dennoch einen Trend. Es ist auszuschließen, dass Welz mit seinem um zwei Drittel niedrigeren Budget um ein Drittel mehr Kunstobjekte gleicher Qualität wie die Deutschen erwerben konnte. Diesem Befund entspricht der Nachweis, bei wem Welz in Paris einkaufte. Die erste Garnitur an Pariser Händlern fehlt unter seinen Lieferanten nahezu vollständig. Freilich ließ sich unter den Bedingungen des Pariser Kunstmarktes der frühen vierziger Jahre auch bei weniger renommierten Adressen manch wertvolles Stück finden, mit dem Welz in Salzburg vor seinen Auftraggebern reüssieren konnte.[23]

Nicht die Qualität der Objekte, nicht die Preise und auch nicht ihr Ankauf aus dem Kunsthandel lassen Welz‘ Erwerbungen in Paris 1940/41 aus heutiger Sicht fragwürdig erscheinen. Die Bedenklichkeit beginnt davor. Das Spektrum der Herkunft der Kunstwerke, die den Pariser Markt überschwemmten, reichte von zwangfreiem Verkauf vor 1939 bis zu den Objekten aus Enteignungen, bei denen die Kommandos der deutschen Besatzer und die Agenten der französischen Vichy-Regierung einander zu übertreffen versuchten.[24] Enteignet wurden die Sammlungen von Emigranten oder politisch verfolgten Franzosen, gleichgültig, ob sie einem christlichen oder dem mosaischen Bekenntnis angehörten. Gegenüber den Deutschen blieben die Franzosen trotzdem immer im Hintertreffen. An erster Stelle agierte der „Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg“, der die wertvollsten Privatsammlungen plünderte. Das Beutegut wurde in Paris im Jeu de Paume bis zum Abtransport nach Deutschland verwahrt.[25] Was den Ansprüchen der Machthaber in Berlin nicht genügte, blieb in Paris und gelangte zu den Händlern. Allerdings verfügten die meisten von ihnen daneben ganz offenbar auch über eigene, unmittelbare, gut funktionierende Zugänge zu Objekten bedenklicher wie unbedenklicher Herkunft. Ansonsten bliebe es unerklärlich, warum NS-Kunstinteressenten höchsten Ranges, denen - im Unterschied zu Welz – alle anderen, auch gewaltsame Möglichkeiten der Beschaffung offen standen, regelmäßig bestimmte Händler aufsuchten. Die Händler wussten besser als alle anderen, woher ihre Ware stammte. Trotzdem organisierten sie den Nachschub, der zusammen mit der Nachfrage die Hausse des Pariser Kunstmarktes jener Jahre begründete: „Doch wenn gestohlene Bilder an deutsche Museen verkauft wurden, trifft auch die französischen Händler, die sie anboten, eine Mitschuld.“[26]

„In manchen Fällen ist es schwierig, zwischen privaten Sammlern und Ankäufern mit dienstlichem Auftrag zu unterscheiden, in jedem Fall aber gerieten sie alle bei der Suche nach geeigneten Objekten früher oder später auch an Beutekunst.“[27] Der erste Teil dieser Feststellung könnte mit direktem Bezug auf Welz geschrieben worden sein, für den zweiten fehlt der Nachweis, zumindest für die Ausschließlichkeit, mit der diese Behauptung formuliert wird. Experten der Generaldirektion der französischen Museen und im Louvre beurteilen in Anbetracht der sehr komplexen Zusammenhänge solche Vereinfachungen zu Recht mit Skepsis und verweisen darauf, dass diese Pauschalierungen nicht zu einer kritischen Analyse des Pariser Kunstmarktes während des Krieges beitragen. Hier führt kein Weg an einer Prüfung jedes einzelnen Sachverhaltes vorbei. Besondere Bedeutung genießen dabei Hinweise auf die Herkunft der Objekte, bevor sie zu den Pariser Händlern gelangten. So lässt sich für Welz‘ Ankauf des Bildes von Degas, Balletteusen, nachweisen, dass es aus der berühmten Sammlung des renommierten Pariser Kunsthändlers Ambroise Vollard stammt.[28] Nach dessen Tod im Sommer 1939 wurde seine Sammlung – größtenteils noch vor der deutschen Besetzung – aufgelöst, so dass der Ankauf des Bildes durch Welz bei einem Händler namens Marchand, von dem trotz seines charakteristischen Namens weiter nichts bekannt ist, kaum als bedenklich gelten kann. Den Hinweis auf die ursprüngliche Herkunft des Bildes von Vollard vermerkte Welz selbst. Er hatte Ambroise Vollard auf seiner Paris-Reise 1935/36 mit hoher Wahrscheinlichkeit noch kennen gelernt und betrachtete diese Herkunftsangabe zweifellos als besonderes Qualitätskriterium. Ein zweiter solcher Hinweis ist nicht Welz selbst, sondern dem französischen Kulturgüteroffizier Capitaine Boris Lossky zu verdanken, der nach 1945 zu einer Waldlandschaft von Poussin bemerkte, dass sie aus einer „collection Menchikoff“ herrührte.[29] Im Unterschied zu Lossky können heutige französische Experten mit dieser Herkunftsangabe nichts mehr anfangen, wie auch die umfangreiche Dokumentation des Louvre keinen Hinweis auf eine Sammlung dieses Namens enthält. Das gleiche negative Resultat gilt für eine Sammlung Gauthier, aus der Rousseaus „Moorlandschaft“, eine „Schlachtenszene“ von Delacroix und eine „Waldstudie“ von Corot kommen.[30] Die umfangreiche Publikation mit ca. 10 000 Kunstgegenständen, die auf der Grundlage von als vermisst gemeldeten Objekten angelegt wurde und mit deren Hilfe die Groupe français du conseil de contrôle in Deutschland und Österreich nach solchen suchen ließ, erweist sich – zumindest im vorliegenden Fall – im Detail als unbrauchbar.[31] Obwohl das Verzeichnis z. T. mit Abbildungen und Maßangaben der Objekte ausgestattet ist, lässt sich kein einziges der Landesgalerie-Bilder sicher zuordnen, so dass diese Möglichkeit entfällt, ihre Herkunft zu bestimmen. Ähnlich verhält es sich mit der verdienstvollen Provenienzforschung im Département des peintures des Louvre. Dabei konnten zu einzelnen Bildern, die später Welz kaufte, durchaus Vorbesitzer festgestellt werden. So wurde ermittelt, dass Sisleys Brücke von Moret am 5. Jänner 1940 durch Mme. de la Chapelle gekauft wurde, ehe das Bild im Herbst des gleichen Jahres über den Händler Raphaêl Gérard an Friedrich Welz gelangte.[32] Allerdings sind keine näheren Angaben zu Mme. de la Chapelle bekannt, womit auch hier die Abschätzung der Situation begrenzt bleibt.

Neben der Provenienzforschung zurück bis vor den Mai 1940 gibt es noch eine zweite Möglichkeit, eine allenfalls vorhandene Problematik einzelner Bilder abzuklären Sie beinhaltet eine Überprüfung der Händler. Eine solche Prüfung müsste ermitteln, in welchem Ausmaß sich bei einem bestimmten Händler Ware bedenklicher Herkunft vermuten lässt. Diese Vorgangsweise ist jedoch im Vergleich mit der ersten in ihrer Effizienz deutlich beschränkt: qualitativ, weil keinesfalls ausgeschlossen werden kann, dass ein als unbedenklich eingeschätzter Händler ausnahmsweise auch bedenkliche Ware verkaufte (und umgekehrt), quantitativ, weil von den 43 Händlern, die im Inventarbuch der Landesgalerie aufscheinen, bis heute nur rund ein Drittel in französischen Untersuchungen erfasst wurde.[33] Da andere Hilfsmittel versagen – Branchenverzeichnisse erweisen sich im Detail als nicht aktualisiert[34] – eröffnet dazu erst das Landesgalerie-Inventarbuch den französischen Kollegen neue Erkenntnisse. Nach 1945 hatten sich zahlreiche Händler vor dem Comité national interprofessionnel d‘ épuration hinsichtlich ihrer Verbindungen zu den Deutschen zu verantworten. Jene, die über alle Stränge geschlagen hatten, wurden der Kollaboration angeklagt. Die Frage nach der Herkunft der Bilder, die sie an Leute wie Welz verkauft hatten, blieb dem gegenüber ein sekundäres Thema. Die anschließenden Überlegungen beruhen daher auf der Unterstellung, dass bei Händlern, die sich besonders nachdrücklich mit den Deutschen einließen, auch am ehesten bedenkliche Ware zu vermuten ist. Das wird im Großen und Ganzen zutreffen, im Detail kann diese Meinung völlig in die Irre führen.

Auf der Grundlage dieser Einschränkungen, denen noch beizufügen ist, dass keiner von Welz‘ Händlern heute mehr existiert, ergibt sich folgendes Bild: Der mit Abstand wichtigste Lieferant für Welz, bei dem er über 100 Objekte kaufte, war Rudolf Holzapfel.[35] Er nahm in der Händlerszene eine gewisse Außenseiterposition ein, wozu passt, dass auch sein Lokal fernab den geläufigen Kunstmeilen der Stadt – damals wie heute – in der Avenue des Peupliers am Rand des Bois de Boulogne lag. Holzapfel pflegte Kontakte zu höchstrangigen NS-Kunstinteressenten: zu Walter Hofer, dem „Direktor der Kunstsammlungen des Reichsmarschalls (Göring)“, zu Hitlers persönlichem Freund Eugen Bruschwiller aus München, zu dem auch seitens Welz‘ Geschäftsbeziehungen nachweisbar sind, zu Hildebrand(t) Gurlitt, einem der führenden Kunstagenten für das geplante Führermuseum in Linz, Cousin von Wolfgang Gurlitt, mit dem Welz auf bestem Fuß stand, und zum schon erwähnten Gestapo-Agenten Wilhelm Jakob Mohnen.[36] Es kann mit Bestimmtheit davon ausgegangen werden, dass dort, wo sich solche Leute trafen, mit interessanten und daher auch bedenklichen Objekten gehandelt wurde. Trotzdem wurde Holzapfel nach dem Krieg nicht angeklagt und konnte im Oktober 1945 in die USA auswandern. Sein Geschäftsinventar wurde von der französischen Regierung allerdings zurückgehalten.

Als seinen zweitwichtigsten Händler nennt Welz im Inventarbuch konsequent „Marumo“. Da sich ein solcher nicht nachweisen lässt, identifiziert man ihn im Département des peintures des Louvre mit den Händlern Albert oder – eher – mit Georges Marin(n)o.[37] Tatsächlich gibt es aber auch heute noch in 243, rue du Faubourg-St. Honoré, eine Galerie „Claude Marumo“. Nach Aussage der Geschäftsführerin hatte diese Galerie während des Krieges eine Vorgängerin am Montmartre, deren Besitzer Paul Marumo war. Mehr als diese mögliche Identifikation lässt sich dazu nicht sagen.

Von den übrigen Händlern, von denen Welz seine Erwerbungen bezog, sind Paul Cailleux, Georges Destrem, Etienne Donath, und Georges Terrisee mit seiner Galerie Combacérès als Geschäftsleute einzustufen, die hinsichtlich ihrer Ware sicher nicht für alle Objekte ein Unbedenklichkeitszertifikat hätten vorweisen können.[38] Paul Cailleux, der renommierte Président de l’association des marchands d’art à Paris, wurde von zahlungskräftigen Deutschen nicht nur als Händler, sondern auch als Experte und Berater geschätzt.[39] Raphaêl Gérard, der sich wie Alice Manteau und die anderen Genannten besonders weit mit den Deutschen eingelassen hatte, konnte sich einer Anklage nicht entziehen, obwohl er sich aktiv an der Rückführung von Kunstgütern, die er während des Krieges verhandelt hatte, an ihre Vorbesitzer beteiligte.[40] Rund ein weiteres knappes Dutzend an Händlern, bei denen Welz einkaufte, sind als eher unbedenklich einzustufen, allerdings auch – zumindest in Verbindung mit Welz – als unbedeutend. Zu mehr als der Hälfte der Händler, die im Inventarbuch der Landesgalerie aufscheinen, können derzeit – wie erwähnt – noch keine Aussagen getroffen werden. Zusammenfassend lässt sich abschätzen, dass Welz in diesem Milieu gewandt auftrat und rasch zugreifend seine Entscheidungen traf. Zur Spitze der Pyramide, zu geraubten Kunstwerken, wie sie im Jeu de Paume gehortet wurden, oder unmittelbar zu den Enteignungskommandos hatte er – zumindest offiziell und soweit es die Landesgalerie betrifft – keinen Zugang. Dementsprechend überschätzt man seine Möglichkeiten und seine Rolle, wenn man ihn unter die „führenden Kunsträuber des Dritten Reiches“ subsummiert.[41] Aber am Rande des Verbrechens, im Umfeld des daneben blühenden und damit verwobenen Kunsthandels bewegte er sich mit Erfolg. Dazu gehört, dass er natürlich wusste, woher seine Erwerbungen wenigstens zum Teil stammten. Vielleicht nicht im Detail, aber jedenfalls im Großen und Ganzen. Für Paris lässt es sich nicht nachweisen. Aber dass ihm bekannt war, was in den besetzten Gebieten auf dem Kunstsektor vor sich ging, lässt sich nachweisen und dieser schriftliche Nachweis ist – bei einem Privatmann, der keine einschlägige Parteifunktion bekleidete – bemerkenswert genug: „Kai (Mühlmann, Anm.d.Autors) ... ist nach wie vor in Krakau. Wahrscheinlich solange, bis es dort nichts mehr‚ sicherzustellen‘ gibt.“[42] Es sind die Anführungszeichen, mit denen Welz selbst den Euphemismus „sicherstellen“ einkleidete, die keines Kommentars bedürfen.

Koller, Fritz: Inventarbuch der Landesgalerie Salzburg 1942-1944.
Salzburg 2000, S. 16-20.


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[1] Behauptung von Christian Plath, vgl. Anm. 317, 320; SLA PräsA 1310/52; Zitat von Museumsdirektor Rigobert Funke, in: Der Standard, 28.2./1.3.1998, S.11.

[2] Hubertus Czernin, in: Der Standard, 28.2./1.3. 1998, S.11, mit Zitierung von Museumsdirektor Rigobert Funke-Elbstadt.

[3] Inventarbuch Inv.-NNr. 115, 438, 439, 444.

[4] Feliciano, Museum (wie Anm.27), S.125.

[5] Vgl. Abschnitt Inventarbuch, Edition, Rubrik „Herkunft und Geschichte“.

[6] SLA HS 926/7 (25); 10 (164 f.); 15 (112).

[7] SLA HS 926/15 (93, 122); 18.

[8] SLA HS 926/5 (50).

[9] Dokumentenanhang Nr. 10.

[10] „So wie Sie bin ich der Meinung, dass an der Authentizität von Welz‘ Einkäufen nicht zu zweifeln ist, sie scheinen in den Unterlagen, die wir eingesehen haben, dementsprechend auf.“ (Mme. Isabelle le Masne de Chermont, Direction des Musées de France, Bibliothèques, Archives et Documentation générale, Paris, 22. November 1999) (SLA Archivakt 897 [Landesgalerie] /200).

[11] Behauptung von Fritz Hoefner, vgl. Anm.289 ff., bes.293; SLA HS 926/10 (38).

[12] Feliciano, Museum (wie Anm.27), S.122, 126.

[13] Der Große Brockhaus (15.Auflage) (Leipzig 1930), 6.Bd., S.433; Feliciano, Museum (wie Anm.27), S.124.

[14] Zu allen Angaben vgl. Abschnitt Inventarbuch, Edition und Index 1, mit den entsprechenden Verweisen auf die Belegstellen bei Bénézit; zu den teuersten Courbet-Werken zählte das Bild mit dem „Bach vom schwarzen Brunnen“ (Inv.-Nr.317), das Welz um 180 000.- FF (= 9 000.- Reichsmark) kaufte. Die tendenziöse Behauptung, dass er es „...für wenige Reichsmark in Paris erstanden“ hätte, illustriert einmal mehr den sorglosen Umgang eines Journalisten mit der sensiblen Materie (Der Standard, 30./31.5./1.6. 1998, S.2).

[15] Feliciano, Museum (wie Anm.27), S.140.

[16] SLA HS 926/10 (76).

[17] Vgl. Abschnitt Inventarbuch, Statistik.

[18] Salzburger Zeitung, 21. und 25.11.1943, jeweils S.2; Kerschbaumer, Alltag (wie Anm.1), S.1530 f.

[19] Vgl. Abschnitt Inventarbuch, Indices 1 und 2.

[20] Vgl. Abschnitt Inventarbuch, Index 1.

[21] Feliciano, Museum (wie Anm.27), S.128.

[22] Vgl. Abschnitt Inventarbuch, Statistik.

[23] Feliciano, Museum (wie Anm.27), S.150.

[24] Reinhold Lorenz, Deutsche Kultur auf deutschen Heeresstraßen, in: Die Pause 6 (1940), Heft 6, S.4 ff., bes. S.7 ff. (Kulturschutz in Frankreich); Feliciano, Museum (wie Anm.27), S.123.

[25] Feliciano, Museum (wie Anm.27), S.105 ff.

[26] Feliciano, Museum (wie Anm.27), S.129.

[27] Feliciano, Museum (wie Anm.27), S.149.

[28] Vgl. Abschnitt Inventarbuch, Edition, Inv.-Nr.403; zu Ambroise Vollard: Ambroise Vollard, Erinnerungen eines Kunsthändlers (Zürich 1980).

[29] Vgl. Abschnittt Inventarbuch, Edition, Inv.-Nr.256.

[30] Vgl. Abschnittt Inventarbuch, Edition, Inv.-Nr.320, 322, 360; Die Herkunftsangabe „Sammlung Gauthier“ stammt von den Rückseiten der historischen Fotografien dieser Inv.-NNr. aus Paris bzw. von Scherb/Wien, wo sie Welz vermerkte (Foto-Originale im SLA HS 926/14).

[31] In Österreich sind die einschlägigen Bände dieses Verzeichnisses im Archiv des BDA, Restitutionsmaterialien, Karton 21, erhalten.

[32] Vgl. Abschnitt Inventarbuch, Edition, Inv.-Nr.329; (Ungedruckte) Provenienzforschung Louvre (Kopie SLA HS 926/18).

[33] Dokumentation zu den Pariser Kunsthändlern 1940 ff., zusammengestellt in der Direction des Musées de France, Bibliothèque, Archives et Documentation générale (SLA HS 926/18).

[34] Annuaire de la curiosité des beaux-arts et de la bibliophilie, 1939-1940, hg.v. Pierre-A. Guillaumeron (Paris 1940), S.216 ff. (SLA HS 926/18).

[35] Vgl. Abschnitt Inventarbuch, Edition, Index 3a.

[36] Dokumentation (wie Anm.82); zu Bruschwiller: SLA HS 926/10 (159); zu Gurlitt: vgl. Abschnitt Inventarbuch, Indices 3b und 5.

[37] Provenienzforschung (wie Anm.81); Dokumentation (wie Anm.82).

[38] Dokumentation (wie Anm.82).

[39] Feliciano, Museum (wie Anm.27), S.134.

[40] Feliciano, a.a.O., S.150.

[41] Der Standard, 30./31.5./1.6.1998, S.2.

[42] SLA HS 926/12 (Schriftverkehr Kolig I, 67).